Life F35

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Life-F35-W-12-Motor

Der Life F35 (nach anderer Schreibweise: Life 3.5) ist ein Formel-1-Motor in W-Konfiguration, den das kurzlebige italienische Team Life Racing in der Formel-1-Weltmeisterschaft 1990 zu zwölf Großen Preisen meldete. Lifes Zwölfzylinder ist der bislang einzige im Rahmen von Weltmeisterschaftsläufen eingesetzte W-Motor. Hersteller und Team waren mit dem Motor überfordert. Der Life F35 war äußerst kompliziert und unausgereift[1] und blieb weit hinter dem Leistungsniveau der konkurrierenden Motoren zurück. Life Racing qualifizierte sich mit ihm zu keinem Weltmeisterschaftslauf.

Entstehungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Konstrukteur des Life 3.5 war der ehemalige Ferrari-Ingenieur Franco Rocchi (1923–1996). Er hatte den Motor nach dem Ausscheiden bei Ferrari 1980 in Eigenarbeit entworfen. Mit seinem W-12-Motor knüpfte Rocchi an eine W-18-Konstruktion an, die er in den 1960er-Jahren für Ferrari entwickelt hatte und von der ein Dreizylinder als Prototyp hergestellt worden war.[2][3]

Neue Saugmotor-Formel-1[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Äußerer Auslöser für die Entwicklung von Rocchis W-12-Motor war die 1986 beschlossene Abkehr von Turbomotoren, die die Formel seit 1980 zunehmend dominiert hatten: Ab 1987 waren alternativ zu den bis dahin zeitweise obligatorischen Turbos wieder Saugmotoren mit nunmehr 3,5 Liter Hubraum zugelassen und ab 1989 durften nur noch Saugmotoren an den Start gehen.[4] Auf der Suche nach einem möglichst effizienten Motorenkonzept entstanden ab 1987 bei Alfa Romeo, Cosworth, Ferrari, Honda, Judd, Lamborghini, Renault und Yamaha unterschiedlich ausgelegte Acht-, Zehn- und Zwölfzylindermotoren, bevor sich etwa 1989 der Zehnzylinder-V-Motor als die erfolgreichste Lösung herausstellte. In der Frühphase dieser neuen Saugmotorära gab es außerdem einige ungewöhnliche Konstruktionen, die sich letztlich nicht etablieren konnten. So baute Motori Moderni für Subaru und Coloni einen Zwölfzylinder-V-Motor mit einem Bankwinkel von 180 Grad, der – technisch unzutreffend – vielfach als Boxermotor bezeichnet wurde.[5] Außerdem entstanden unabhängig voneinander zwei W-Motoren: Neben Franco Rocchi entwickelte auch der französische Ingenieur Guy Nègre eine Konstruktion mit Drehschiebern statt Ventilen,[6] der einmal in einem AGS JH22 getestet wurde, aber keinen Weg in die Formel 1 fand.[7]

Kooperation von Franco Rocchi und Ernesto Vita[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1988 verband sich Rocchi mit dem Geschäftsmann Ernesto Vita. Vita investierte in das Projekt und ermöglichte so den Aufbau von zwei Motorblöcken. Sein Ziel war es, den Motor gewinnbringend einem etablierten Formel-1-Team zur Verfügung zu stellen.[8] Im Laufe des Jahres 1989 fanden sich aber keine Interessenten. Am intensivsten waren die Verhandlungen mit Enzo Coloni, der allerdings kostenlose Motoren verlangte, was den Interessen Rocchis und Vitas widersprach. Um das Projekt voranzutreiben und ihre Investitionen zu retten, entschieden sich Vita und Rocchi Ende 1989 für den Aufbau eines eigenen Formel-1-Teams, das die Wettbewerbsfähigkeit des W-Motors in der Praxis unter Beweis stellen sollte.[9] Vita und Rocchi erhofften Rennerfolge, die letztlich doch noch größere Teams als Kunden anziehen würden.[10][11]

Promotion des W-12 im eigenen Team[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einziges Auto mit Rocchis W-12-Motor: Life L190

Das daraufhin gegründete Team meldete sich als Life Racing zur Formel-1-Weltmeisterschaft 1990. Einsatzfahrzeug war der Life L190, ein umgebauter First F189, der bereits 1988 auf der Basis eines Formel-3000-Autos von March konstruiert worden war.(a) Der Life L190 wurde von Rocchis W-12-Motor angetrieben. Fahrer war anfänglich Gary Brabham, später Bruno Giacomelli. Life Racing war von Beginn an nicht wettbewerbsfähig und gehört zu den größten Misserfolgen der Formel-1-Geschichte.[12][13] Die mangelnde finanzielle und organisatorische Ausrüstung des Teams, das schlecht konstruierte Chassis und der Motor waren gleichermaßen Schwachstellen. Der Motor erreichte nicht ansatzweise das Leistungsniveau der Formel 1 und war außerdem nicht belastbar. Wiederholt kam es bereits nach einer oder nach wenigen Runden zu einem Motorschaden. Rocchi war finanziell und logistisch nicht in der Lage, den Motor weiterzuentwickeln,[14] sodass die Defizite bis in den Spätsommer 1990 hinein unverändert vorhanden waren.

Zum Saisonende ersetzte Life den eigenen W-12-Motor für die letzten beiden europäischen Rennen durch einen britischen Achtzylinder-V-Motor von Judd. Mit ihm überstand das Team die Vorqualifikation genauso wenig wie mit dem eigenen W-12.

Konstruktion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Grundmerkmale[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Life F35 hat drei Zylinderbänke mit je vier Zylindern. Bei Bänke stehen jeweils im Winkel von 60° zueinander. Der Hubraum beträgt 3493 cm³ (Bohrung × Hub: 81 mm × 56,5 mm).[15] Jede Zylinder hat fünf Ventile, jede Zylinderbank zwei obenliegende Nockenwellen. Die Zündkerzen kamen von Champion. Der Motorblock ist lediglich 53 cm lang.[10]

Die maximale Drehzahl wurde mit 13.500 Umdrehungen pro Minute angegeben. Das war nominell der höchste Wert aller Formel-1-Motoren der Saison 1990.[15] Tatsächlich erreichte der Motor auf der Rennstrecke diesen Wert nicht ansatzweise. Bruno Giacomelli berichtete ein Jahrzehnt später, dass er auf höchstens 9500 Umdrehungen pro Minute kommen durfte.[14]

Leistung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Werksseitig machte Life Racing keine Angaben zur Leistung des Motors.[15] Unabhängige zeitgenössische Autoren gaben Schätzungen im Bereich von 600 PS ab.[16] Giacomelli bezifferte die Leistung des Motors rückblickend auf lediglich 360 PS.[14] Das ist weniger als die Leistung eines zeitgenössischen Formel-3000-Motors. Giacomellis Angaben zugrunde gelegt, brachte Rocchis W-12-Motor damit nur die Hälfte der Leistung des Honda RA100E, den McLaren 1990 einsetzte.[15]

Defizite[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neben der geringen Leistung waren seine sperrige Bauform und seine mangelnde Haltbarkeit zentrale Probleme des Life F35.

Rocchi sah den Vorteil des W-12-Motors in seiner Kürze: Der W-Motor sei nicht länger als ein Achtzylinder-V8-Motor, könne aber die Leistung eines Zwölfzylindermotors bringen.[17] Praktische Nachteile waren die große Bauhöhe und die Breite: Der Winkel zwischen den beiden äußeren Zylinderbänken belief sich auf 120°. Dem standen die V10-Motoren von Honda und Renault gegenüber, die einen Bankwinkel von lediglich 72° bzw. 67° hatten; der Bankwinkel von Ferraris V12-Motor betrug sogar nur 65°.[15]

Der Life F35 hielt nur selten mehr als vier Runden am Stück, teilweise auch nur ein paar hundert Meter. Nach kurzer Betriebszeit ging der Motor regelmäßig kaputt. Ein zentrales Problem waren Bruno Giacomelli zufolge die Pleuel. Jahrzehnte später wurde ein fehlerhaft konstruierter Schmierkanal als eine wesentliche Ursache für die regelmäßigen Motorschäden identifiziert.[13]

Renneinsätze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Life Racing meldete den W-12-Motor im eigenen Auto zu den ersten zwölf Großen Preisen der Saison 1990. Bei keinem Großen Preis überstand der Life die Vorqualifikation. Mit Ausnahme des Saisonauftakts in den USA, wo Colonis C3B mit Subaru-Motor keine gezeitete Runde schaffte,[18] war der Life immer das mit deutlichem Abstand langsamste Auto der Vorqualifikation. Auf die Qualifikation fehlten dem Life jeweils zwischen 13 Sekunden (Großbritannien)[19] und 32 Sekunden (USA);[18] der Rückstand auf die Poleposition betrug je nach Rennen 17 (Großbritannien) bis 37 Sekunden (USA). Vielfach durften die Fahrer nur die ersten drei Gänge benutzen, um den Motor nicht zu überlasten.[20]

Verbleib[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts übernahm der französische Sammler Lorenzo Prandina den Life L190 einschließlich des W-12-Motors. Er ließ das Auto komplett restaurieren und auf die Version mit dem Rocchi-Motor zurückrüsten. Das fahrbereite Auto wurde 2009 beim Goodwood Festival of Speed öffentlich gezeigt. Dort legte der Life mehrere Runden am Stück aus eigener Kraft zurück.[13]

Resultate des Life F35[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fahrer Chassis Startnr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 Punkte WM
1990
Australien G. Brabham Life L190 39 DNPQ DNPQ 0
Italien B. Giacomelli DNPQ DNPQ DNPQ DNPQ DNPQ DNPQ DNPQ DNPQ DNPQ DNPQ
Legende
Farbe Abkürzung Bedeutung
Gold Sieg
Silber 2. Platz
Bronze 3. Platz
Grün Platzierung in den Punkten
Blau Klassifiziert außerhalb der Punkteränge
Violett DNF Rennen nicht beendet (did not finish)
NC nicht klassifiziert (not classified)
Rot DNQ nicht qualifiziert (did not qualify)
DNPQ in Vorqualifikation gescheitert (did not pre-qualify)
Schwarz DSQ disqualifiziert (disqualified)
Weiß DNS nicht am Start (did not start)
WD zurückgezogen (withdrawn)
Hellblau PO nur am Training teilgenommen (practiced only)
TD Freitags-Testfahrer (test driver)
ohne DNP nicht am Training teilgenommen (did not practice)
INJ verletzt oder krank (injured)
EX ausgeschlossen (excluded)
DNA nicht erschienen (did not arrive)
C Rennen abgesagt (cancelled)
  keine WM-Teilnahme
sonstige P/fett Pole-Position
1/2/3/4/5/6/7/8 Punktplatzierung im Sprint-/Qualifikationsrennen
SR/kursiv Schnellste Rennrunde
* nicht im Ziel, aufgrund der zurückgelegten
Distanz aber gewertet
() Streichresultate
unterstrichen Führender in der Gesamtwertung

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Adriano Cimarosti: Das Jahrhundert des Rennsports. Autos, Strecken und Piloten. Motorbuch-Verlag, Stuttgart 1997, ISBN 3-613-01848-9.
  • Alan Henry: Auto Course 1990/91. Osprey Publishing Ltd, London 1991, ISBN 0-905138-74-0.
  • David Hodges: A–Z of Grand Prix Cars. Crowood Press, Marlborough 2001, ISBN 1-86126-339-2 (englisch).
  • David Hodges: Rennwagen von A–Z nach 1945. Motorbuch-Verlag, Stuttgart 1994, ISBN 3-613-01477-7.
  • Pierre Ménard: La Grande Encyclopédie de la Formule 1. 2. Auflage. Chronosports, St. Sulpice 2000, ISBN 2-940125-45-7 (französisch).
  • Matthew Teaters: Formula One Famous Failures, Trafford Publishing, 2009, ISBN 9781426979668

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Life F35 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

(a) 
Der First F189 war ein Nachbau des March 88B, den First Racing in der Saison 1988 in der Formel-3000-Meisterschaft eingesetzt hatte.[21]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Alan Henry: Auto Course 1990/91. Osprey Publishing Ltd, London 1991, ISBN 0-905138-74-0, S. 103.
  2. David Hebb: Formula One scene: Engine design trends (part one), Motorsport Magazine, Heft 12/1988, S. 28.
  3. Karl Ludvigsen: The V12 Engine. Sparkford, Yeovil: Haynes Publishing, 2005, ISBN 1-84425-004-0, S. 356 f.
  4. Adriano Cimarosti: Das Jahrhundert des Rennsports. Stuttgart 1997, ISBN 3-613-01848-9, S. 369.
  5. Männer, Ideen und Motoren – der Subaru MM 3512 von Carlo Chiti 1990 in der Formel 1. autonatives.de, 25. Dezember 2013, abgerufen am 14. Januar 2024.
  6. auto motor und sport, Heft 21/1988, S. 303.
  7. David Hodges: A–Z of Grand Prix Cars. Crowood Press, Marlborough 2001, ISBN 1-86126-339-2, S. 8.
  8. Kurzbiografie zu Ernesto Vita auf www.oldracingcars.com (abgerufen am 7. Januar 2024).
  9. Christoph Büscher: F1 Underdogs Vol. 3 — Small Teams With Big Dreams. medium.com, 29. Juni 2017, abgerufen am 7. Januar 2024 (englisch).
  10. a b Nicolas Laperruque: Life Racing F1, la pire écurie de tous les temps. histo-auto.com, 22. August 2020, abgerufen am 6. Januar 2024 (französisch).
  11. José Muguel Vinuesa: Life L190: cuando correr no es vida. almacenf1.wordpress.com, 26. Juli 2017, abgerufen am 6. Januar 2024 (spanisch).
  12. Matthew Teaters: Formula One Famous Failures, Trafford Publishing, 2009, ISBN 9781426979668.
  13. a b c Cameron Kirby: The untold story of Formula 1’s most bizarre team: Life F1. whichcar.com, 22. Januar 2022, abgerufen am 14. Januar 2024 (englisch).
  14. a b c N.N.: Demeaning of life. Bruno Giacomelli Life L190, Motorsport Magazine, Heft 9/2000, S. 91 ff.
  15. a b c d e Alan Henry: Auto Course 1990/91. Osprey Publishing Ltd, London 1991, ISBN 0-905138-74-0, S. 80.
  16. Adriano Cimarosti: Das Jahrhundert des Rennsports. Stuttgart 1997, ISBN 3-613-01848-9.
  17. Adriano Cimarosti: Das Jahrhundert des Rennsports. Autos, Strecken und Piloten. Motorbuch-Verlag, Stuttgart 1997, ISBN 3-613-01848-9, S: 417.
  18. a b Alan Henry: Auto Course 1990/91. Osprey Publishing Ltd, London 1991, ISBN 0-905138-74-0, S. 109.
  19. Alan Henry: Auto Course 1990/91. Osprey Publishing Ltd, London 1991, ISBN 0-905138-74-0, S. 177.
  20. Alan Henry: Auto Course 1990/91. Osprey Publishing Ltd, London 1991, ISBN 0-905138-74-0, S: 123.
  21. Vgl. Männer, Ideen und Motoren – 1990 war noch Luft nach unten, Auftritt Life L190. autonatives.de, 26. Dezember 2013, abgerufen am 15. Januar 2024.