Marie-Luise Scherer

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Marie-Luise Scherer (* 15. Oktober 1938 in Saarbrücken; † 17. Dezember 2022[1] in Damnatz[2]) war eine deutsche Schriftstellerin, Reporterin und Journalistin.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ohne Abitur und ohne Studium[3] begann Marie-Luise Scherer als Reporterin beim Kölner Stadtanzeiger und schrieb dann für die Berliner Morgenpost und Die Zeit. Danach war sie von 1974 bis 1998 Autorin beim Spiegel, wo sie mit ihren literarischen Reportagen bekannt wurde. Zuletzt verfasste sie für Sinn und Form, eine in Berlin zweimonatlich erscheinende Zeitschrift für Literatur und Kultur, die von der Akademie der Künste herausgegeben wird, autobiographische Fragmente.[4] In Heft 2/2023 erschien dort unter dem Titel Silben- und Freundschaftsarbeit die von Chefredakteur Matthias Weichelt verfasste Totenrede für Marie-Luise Scherer.[5]

Über ihre Textproduktion, die sie als „Silbenarbeit“ charakterisierte, sagte sie: „Zwei gute Sätze an einem Tag sind ein Glück.“[6] Über 20 Jahre leistete man sich beim Spiegel eine Mitarbeiterin, die es maximal auf zwei Reportagen im Jahr brachte, schrieb Katharina Teutsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in ihrem Nachruf: „Die besten sind in bibliophilen Buchausgaben erhältlich.“[7]

Friedmar Apel schrieb in der FAZ vom 4. Juni 2004: „In der Tradition Walter Benjamins ist Marie-Luise Scherer eine Physiognomikerin der Dingwelt, wie jener hat sie ihre Methode auch an den flüchtigen Erscheinungen der Kleidermode geschult.“

Gustav Seibt sagte: „Nichts scheint von ihrer eigenen Subjektivität übrig zu bleiben, außer einer übermäßig gesteigerten Empfindsamkeit, die noch beim Lesen fast schmerzhaft berührt. Der Tonfall ist völlig unfeuilletonistisch, er ist geprägt von einer fast unpersönlichen Allwissenheit, die sich in einem allerdings zuweilen prunkvoll pathetischen Feststellungsduktus ausspricht. Hier redet die Welt selbst.“[8]

Die Vergabe des Kunstpreises des Saarlandes 2012 an Scherer begründete die Jury u. a. so: „Ihre Texte setzen einen Akzent gegen die Schnelligkeit journalistischer Darstellungen, sie sind Erzählungen mit präzise recherchiertem Hintergrund.“[9]

Ihre Texte wurden ins Französische, Italienische und Spanische übersetzt.

Scherer lebte in Damnatz,[10] einem wendländischen Dorf an der Elbe, unweit der ehemaligen Grenze zur DDR. Sie starb Mitte Dezember 2022 im Alter von 84 Jahren. In seinem Nachruf in der Süddeutschen Zeitung apostrophierte Willi Winkler Marie-Luise Scherer als „Geschenk an die Sprache“:

„Von Beruf war sie eine Reporterin, aber sie ging nicht in den Nachrichten, sondern in der Sprache auf. Mit ihrer Flaubert’schen Hingabe an Satz und Wort und jede einzelne Silbe übertraf sie alle und zwar wirklich alle zeitgenössischen Autoren.“[4]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ungeheurer Alltag. Geschichten und Reportagen. Rowohlt, Reinbek 1988, ISBN 3-498-06225-5.
  • Der Akkordeonspieler. Wahre Geschichten aus vier Jahrzehnten, Reihe Die Andere Bibliothek, Hrsg. von Hans-Magnus Enzensberger bei Eichborn, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-8218-4541-4 (Taschenbuchausgabe: Fischer, Frankfurt am Main 2006).
  • Die Bestie von Paris und andere Geschichten. Verlag Matthes & Seitz Berlin 2012.[12]
  • Die Hundegrenze. Verlag Matthes & Seitz Berlin 2013, ISBN 978-3-88221-077-4.
  • Unter jeder Lampe gab es Tanz. Wallstein Verlag 2014, ISBN 978-3-8353-1420-7.
  • Der Akkordeonspieler. Verlag Matthes & Seitz Berlin 2017, ISBN 978-3-95757-325-4

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Angelika Overath: Das halbe Brot der Vögel. Zur Sprache der Journalistin Marie-Luise Scherer. In: dies.: Das halbe Brot der Vögel. Portraits und Passagen. Wallstein, Göttingen 2004, ISBN 3-89244-730-6.
  • Katharina Teutsch: Das wilde zarte Reporterherz. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Oktober 2012, S. Z1 f.
  • Katharina Teutsch: Die Radikale. Reporterin Marie-Luise Scherer ist gestorben. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Dezember 2022, S. 12

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Frühere Spiegel-Reporterin Marie-Luise Scherer gestorben. In: Spiegel.de. 18. Dezember 2022, abgerufen am 20. Dezember 2022.
  2. Iris Radisch: Natürlich war sie einzigartig. Zum Tod der Reporterin Marie-Luise Scherer. In: Die Zeit. 22. Dezember 2022;.
  3. Iris Radisch, Natürlich war sie einzigartig, DIE ZEIT vom 22. Dezember 2022
  4. a b Willi Winkler: Zum Tod von Marie-Luise Scherer: Geschenk an die Sprache. In: sueddeutsche.de. 18. Dezember 2022, archiviert vom Original am 19. Dezember 2022; abgerufen am 20. Dezember 2022.
  5. Matthias Weichelt, Silben- und Freundschaftsarbeit. Totenrede für Marie-Luise Scherer In: Sinn und Form, 2/2023 S. 279–281
  6. Julika Pohle: Silbe um Silbe wächst der Text. In: Welt.de. 10. Dezember 2004, abgerufen am 12. April 2011.
  7. Katharina Teutsch: Marie-Luise Scherer gestorben: Die Radikale. In: faz.net. 18. Dezember 2022, abgerufen am 19. Dezember 2022.
  8. Süddeutsche Zeitung, 2. April 2004
  9. Kunstpreis des Saarlandes an Marie-Luise Scherer. In: Saarbrücker Zeitung (Kultur) vom 22. März 2012
  10. Literatur – Mitglieder: Marie-Luise Scherer. In: adk.de. Abgerufen am 19. Dezember 2022.
  11. Neue Mitglieder der Akademie der Künste. In: adk.de. 1. Juli 2015, abgerufen am 20. Dezember 2022.
  12. Helmut Böttiger: Paris ganz nüchtern – und grausam. In: Deutschlandfunk-Kultur-Sendung „Buchkritik“. 10. Dezember 2012, abgerufen am 20. Dezember 2022 (Rezension).