Heinz Dieter Kittsteiner

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Heinz Dieter Kittsteiner (* 30. Juli 1942 in Hannover; † 18. Juli 2008 in Berlin) war ein deutscher Historiker, Germanist, Schriftsteller und Philosoph.

Heinz Dieter Kittsteiner studierte ab 1962 Geschichte, Germanistik und Philosophie an der Universität Tübingen sowie der Freien Universität Berlin und schloss dieses Studium 1969 mit einem Staatsexamen in Geschichte und Germanistik ab. Als Student gehörte er zeitweise dem SDS und der Redaktion der linken alternative an.[1] 1978 promovierte er bei Jacob Taubes über das Thema Naturabsicht und Unsichtbare Hand. Von 1980 bis 1983 arbeitete Kittsteiner als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der FU Berlin bei Michael Theunissen. Von 1983 bis 1985 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie an der Universität Bielefeld bei Reinhart Koselleck tätig. 1988 habilitierte er sich mit der Schrift Die Geschichte des modernen Gewissens, mit deren Buchfassung er auch 1995 der erste Preisträger des Halberstädter Gleim-Literaturpreises war. Er hatte im Anschluss eine Lehrstuhlvertretung an der FU Berlin, ein Fellowship am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen sowie eine Gastprofessur an der Universität Jena inne.

Seit 1993 war Kittsteiner Professor für Vergleichende europäische Geschichte der Neuzeit an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), 2005–2007 zudem Dekan der Kulturwissenschaftlichen Fakultät.

Als wissenschaftliches Programm Kittsteiners beschreibt sein Weggefährte Ludolf Kuchenbuch die „Revision der Trennung von Philosophie und Fachhistorie“ und die kritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen geschichtsphilosophischen Entwürfen der Neuzeit, die in die These von „Unverfügbarkeit der Geschichte“ mündete. Aus dieser Perspektive forschte Kittsteiner außerdem etwa zur Genese des modernen Gewissens, zur Erinnerungskultur, Kunst und Kulturgeschichte und arbeitete „an einem Konzept einer plausiblen Binnengliederung der Moderne“ anhand der jeweiligen geschichtsphilosophischen Erwartungshorizonte.[2] Während Kittsteiner dem Glauben an eine „Machbarkeit“ der Geschichte kritisch gegenüberstand, war er – so Christoph Asendorf und Inge Baxmann – „kein Konservativer, sondern ein marxistischer Philosoph, der mit Heidegger gegen verkürzte Marx-Rezeptionen von Links oder Rechts zu Felde zog“, „ein ‚68er‘, der deren ‚Erbe‘ nicht leugnete, sondern auf seine Weise weiterführte“.[3]

Nachdem Kittsteiner am 15. Juli 2008 noch die Laudatio bei der Verabschiedung der Viadrina-Präsidentin Gesine Schwan gehalten hatte, verstarb er unerwartet im Alter von 65 Jahren in seiner Berliner Wohnung.

Wegen seines plötzlichen Todes blieb eine geplante, sechsbändige Geschichte Deutschlands von 1618 bis 1945 unvollendet. Postum erschienen ist nur deren erster Teilband, das aus Vorlesungen hervorgegangene Werk Die Stabilisierungsmoderne, das Patrick Bahners ein „Meisterwerk der Historiographie“ nannte.[4]

Die Bibliothek und der wissenschaftliche Nachlass von Heinz Dieter Kittsteiner befinden sich an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und können im Findbuch des Universitätsarchivs bzw. im elektronischen Katalog der Universitätsbibliothek recherchiert werden.

Schriften (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Reinhard Blänkner, Falko Schmieder, Christian Voller, Jannis Wagner (Hrsg.): Geschichtsphilosophie nach der Geschichtsphilosophie? Perspektiven der Kulturgeschichte im Ausgang von Heinz Dieter Kittsteiner, Transcript Verlag, Bielefeld 2021, ISBN 978-3-8376-4196-7.
  • Gangolf Hübinger (Hrsg.): Gedenkschrift für Heinz Dieter Kittsteiner (1942–2008), Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) 2009 (mit Publikationsverzeichnis).
  • Jannis Wagner, Mit Marx und Benjamin. Heinz Dieter Kittsteiner und die (Un-)Verfügbarkeit der Geschichte, in: Archiv für Kulturgeschichte, 102. Bd. 2020/Heft 1, S. 195–210.
  • Jannis Wagner, Obsessive Lektüren. Heinz Dieter Kittsteiners Nachlass, in: Zeitschrift für Ideengeschichte, Heft X/2 (Sommer 2016), S. 110–114.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Heinz Dieter Kittsteiner, „Unverzichtbare Episode. Berlin 1967“, in: Hübinger, Gedenkschrift, S. 53–64.
  2. Ludolf Kuchenbuch, „Trauerrede auf Heinz Dieter Kittsteiner in Berlin am 4. August 2008“, in Hübinger, Gedenkschrift, S. 13–17, hier: 15 f.
  3. Christoph Asendorf / Inge Baxmann: „Über die Sybelstraße 53 und das Wohnen mit dem Möglichkeitssinn“, in Hübinger, Gedenkschrift, S. 43–51, hier: 45.
  4. FAZ, 2. Oktober 2010.