Halbmondlager

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Kriegsgefangene im Halbmondlager (April 1915)
Postkarte von der Holzmoschee des Halbmondlagers

Das sogenannte Halbmondlager wurde zu Beginn des Ersten Weltkrieges in Wünsdorf bei Zossen im heutigen Landkreis Teltow-Fläming (Brandenburg) als Lager für kriegsgefangene Araber, Inder und Afrikaner aus der britischen und französischen Armee errichtet. Hier waren etwa 30.000 Kriegsgefangene interniert.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Moschee beim Gottesdienst

Während des Ersten Weltkrieges war das Osmanische Reich ein Verbündeter des deutschen Kaiserreiches. Am 15. November 1914 rief der Sultan-Kalif des Osmanischen Reiches die Muslime, die als Soldaten aus den Kolonien auf Seiten Englands und Frankreichs kämpften, zum Dschihad, zum Heiligen Krieg, gegen ihre Kolonialherren auf und forderte sie auf, zu desertieren und auf die islamische Seite zu wechseln. Deutschland beteiligte sich mit der Nachrichtenstelle für den Orient an diesem Versuch, indem es das Halbmondlager und ein vergleichbares Lager (das Weinbergelager) im nahegelegenen Ort Zossen einrichtete. Hier sollten die Gefangenen zum Überlaufen und zum Kampf gegen ihre Kolonialherren bewegt werden. Wichtigstes Instrument zur Überzeugung der islamischen Gefangenen war die Förderung der Ausübung islamischer Praktiken in diesen Lagern. So wurde etwa der Ramadan geachtet, indem zu dieser Zeit die Verpflegungsrationen erst nach Sonnenuntergang ausgegeben wurden. Am 13. Juli 1915 wurde zudem im Halbmondlager auf Wunsch des Muftis von Istanbul[1] die erste tatsächlich zur Religionsausübung gedachte Moschee auf deutschem Boden ihrer Bestimmung übergeben.[2][3][4][5] Die Holzmoschee musste 1924 infolge Baufälligkeit geschlossen werden und wurde 1925/26 abgerissen.[6] Im Halbmondlager waren zudem auch Hindus und Sikhs untergebracht. Des Weiteren kooperierte die Nachrichtenstelle mit dem Berliner Indian Independence Committee, unter anderem in der Herausgabe der propagandistischen Lagerzeitung "Hindostan".[7] Der Erfolg dieser Strategie ist umstritten, da nicht zu klären ist, zu wie vielen Überläufern sie tatsächlich geführt hat.

Für die 206 in der Kriegsgefangenschaft verstorbenen indischen Kriegsgefangenen wurde 2005 in der Ortswüstung des ehemaligen Zehrensdorf nahe Wünsdorf der Zehrensdorf Indian Cemetery nach eingehenden Renovierungsmaßnahmen neu eingeweiht.

Friedhof Halbmondlager

Studien deutscher Künstler und Wissenschaftler im Lager[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Verschiedene deutsche Ethnologen, Musikwissenschaftler wie Robert Lachmann[8] oder Sprachwissenschaftler wie Wilhelm Doegen nutzten die „praktische Gelegenheit“ und erforschten die Kulturen und Sprachen der im Halbmondlager gefangen gehaltenen Menschen. Soweit bekannt, geschah dies auf freiwilliger Basis.[9]

Im Sommer 1916 saßen dem Berliner Maler Hans Looschen mehrere Gefangene aus Nordafrika Modell.[10] In derselben Zeit entstand die Mappe Kriegsgefangene mit Lithografien afrikanischer Gefangener des Malers Hermann Struck.[11]

Das Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin enthält 193 Tonaufnahmen mit 282 Titeln, die auf im Halbmondlager internierte Kriegsgefangene aus Südasien zurückgehen.[12] Von Oktober 2014 bis 2015 präsentierte das Museum Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem eine Ausstellung mit Fotografien und Tonaufnahmen aus dem Lager unter dem Titel 'Phonographierte Klänge - photographierte Momente'.[13]

Film und Fotografie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im 1916 erschienenen Fotobuch Unsere Feinde. 96 Charakterköpfe aus deutschen Kriegsgefangenenlagern[14] publizierte das Mitglied der Lagerkommandantur Otto Stiehl seine Fotografien von afrikanischen, asiatischen und auch europäischen Gefangenen im Lager.

1918 diente das Lager als Kulisse für den antifranzösischen Film Der Gefangene von Dahomey der Deutschen Kolonial-Film GmbH (Regie: Hubert Moest). Kriegsgefangene übernahmen die Rolle französischer Kolonialsoldaten; der deutsche Protagonist wurde im Film mit einer vom Berliner Völkerkundemuseum zur Verfügung gestellten Nilpferdpeitsche misshandelt.[15]

1919 wird in der Messter Wochenschau (KW 38) in 50-sekündiger Beitrag über das Halbmondlager gesendet. Nach dem Titel Berlin-Wünsdorf: Jahresfest der in Deutschland lebenden Mohammedanner folgt eine Filmaufnahmen betender Muslime in etlichen Reihen mit den dahinterliegenden Wohnbaracken, ehe nach einem Schnitt aus der Vogelperspektive entgegen der Qibla von den betenden Männern nach oben geschwenkt wird und so der Beitrag mit einer vollständigen Aufnahme der dahinterliegenden Moschee mit einer gehissten Flagge des osmanischen Reichs am Minarett endet. Der Beitrag ist über die Filmarchiv des Bundesarchivs frei abrufbar.[16]

2007 kam der Film The Halfmoon Files von Philip Scheffner in die Kinos, der Bild- und Tonaufnahmen aus dem Halbmondlager, die im Rahmen dieser Studien zur Zeit des Ersten Weltkrieges gemacht wurden, zur Grundlage hat.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Halbmondlager Wünsdorf – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Des Kaisers Dschihadisten - DER SPIEGEL 5/2010. Abgerufen am 7. Dezember 2020.
  2. Margot Kahleyss: Muslimische Kriegsgefangene in Deutschland im Ersten Weltkrieg – Ansichten und Absichten. (PDF; 1,5 MB) In: Gerhard Höpp, Brigitte Reinwald (Hrsg.): Fremdeinsätze. Afrikaner und Asiaten in europäischen Kriegen, 1914–1945. Studien 13, Zentrum Moderner Orient / Verlag Das Arabische Buch, 2000
  3. Gerhard Hopp: Die Wünsdorfer Moschee: Eine Episode islamischen Lebens in Deutschland, 1915–1930. In: Die Welt des Islams, New Ser., Jg. 36, Nr. 2, Jul., 1996, S. 204–218.
  4. Christoph Richter: Nicht Mekka, sondern Zehrensdorf. Muslimische Totenruhe in Brandenburg. Deutschlandradio Kultur – Länderreport, 24. Nov. 2006
  5. Thomas Lemmen: Islamische Religionsausübung in Deutschland. In: Thomas Lemmen, Melanie Miehl (Hrsg.): Islamisches Alltagsleben in Deutschland. Bonn 2001, ISBN 3-86077-886-2, S. 17 der Druckausgabe
  6. Chalid-Albert Seiler-Chan: Der Islam in Berlin und anderwärts im Deutschen Reiche. (PDF; 1,9 MB) In: Moslemische Revue, Oktober 1934
  7. Heike Liebau: „Unternehmungen und Aufwiegelungen“: Das Berliner Indische Unabhängigkeitskomitee in den Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts (1914–1920). In: MIDA Archival Reflexicon. 2019, S. 4–5 (projekt-mida.de).
  8. Deutsche Biographie: Lachmann, Robert - Deutsche Biographie. Abgerufen am 7. Dezember 2020.
  9. Roy, Franziska, Liebau, Heike, Ahuja, Ravi: Soldat Ram Singh und der Kaiser indische Kriegsgefangene in deutschen Propagandalagern 1914 - 1918. Draupadi Verlag, Heidelberg 2014, ISBN 978-3-937603-84-1, S. 165–208.
  10. Kriegsgefangener Onis Gem Mahmud. In: LeMO – Lebendiges Museum Online. Abgerufen am 17. März 2018.
  11. Jüdisches Museum Berlin – Sammlungen Online. Abgerufen am 7. Dezember 2020.
  12. Recherche: Das Halbmondlager. Digging Deep, Crossing Far, abgerufen am 11. März 2018.
  13. Museum Europäischer Kulturen, Berlin: 'Phonographierte Klänge - photographierte Momente'. In: euromuse.net. Abgerufen am 7. Dezember 2020.
  14. Otto Stiehl: Unsere Feinde. 96 Charakterköpfe aus deutschen Kriegsgefangenenlagern. In: Digitalisierte Sammlungen der Staatsbibliothek zu Berlin. Abgerufen am 7. Dezember 2020.
  15. Auf der Suche nach Mall Singh. In: Märkische Allgemeine Zeitung. The Halfmoon Files, 17. Februar 2007, abgerufen am 17. März 2018.
  16. Berlin-Wünsdorf: Jahresfest der in Deutschland lebenden Mohammedanner. In: Messter Woche, 38/1919. Oskar Messter, 1919, abgerufen am 24. Juli 2021.

Koordinaten: 52° 10′ 1″ N, 13° 29′ 9″ O