Ernst Friedrich

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Ernst Friedrich mit 30 Jahren, um 1924

Ernst Friedrich (* 25. Februar 1894 in Breslau; † 2. Mai 1967 in Le Perreux-sur-Marne, Frankreich) war ein anarchistischer Pazifist (vgl. auch Anarchopazifismus).

Leben und Wirken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kindheit und Jugend[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ernst Friedrich wurde als dreizehntes Kind einer Waschfrau und eines Sattlers geboren.[1] Nach dem Abschluss der Volksschule begann er 1908 eine Buchdruckerlehre, die er jedoch bald abbrach, um sich zum Schauspieler ausbilden zu lassen. Seinen Lebensunterhalt verdiente er, indem er sich als Fabrikarbeiter verdingte. Er war einer der Gründer des Breslauer Ortsvereins der Arbeiterjugend.[2] 1911 trat er in die SPD ein. Von 1912 bis 1914 durchwanderte er Dänemark, Schweden, Norwegen und die Schweiz. 1914 gab er in seiner Heimatstadt sein schauspielerisches Debüt und trat auch am Königlichen Hoftheater in Potsdam auf.

Erster Weltkrieg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Ersten Weltkrieg einberufen, verweigerte er den Kriegsdienst aus Gewissensgründen.[3] Da er sich dagegen wehrte, eine Uniform anzuziehen, wies man ihn in eine Beobachtungsstation für Geisteskranke ein. Wegen Sabotage in einem kriegswichtigen Betrieb wurde er 1917 zu einer Gefängnisstrafe in Potsdam verurteilt. Ende 1918 kam er aufgrund der Novemberrevolution frei.[4][5]

Weimarer Republik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Friedrich war am Spartakusaufstand beteiligt. Nach dem Kriegsende war er kurz Mitglied in der Freien sozialistischen Jugend von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Nach deren Auflösung im Jahr 1920 gründete er die antiautoritäre und anarchistische Jugendgruppe „Freie Jugend“ in Berlin. Diese fand auch Ableger in Preußen, Sachsen, Thüringen, im Rheinland, in Westfalen sowie in Österreich und der Schweiz. Die Zeitschrift Freie Jugend war verbindend für die verschiedenen Gruppen und erschien bis 1926.[5] Diese ging ab 1923 in der Syndikalistisch-Anarchistischen Jugend Deutschlands (SAJD) auf, einer anarchosyndikalistischen Jugendbewegung, die sich sehr stark für den Antimilitarismus einsetzte. In der Zwischenkriegszeit engagierte er sich politisch, agitatorisch und künstlerisch gegen den Krieg, er war unter anderem Redner auf der Anti-Kriegskundgebung vor dem Berliner Dom am 31. Juli 1921 mit über 100.000 Demonstranten.

Seine Wohnung in der Kochhannstraße in Friedrichshain wurde zu einem Versammlungsort und einer Wohnkommune für anarchistische junge Menschen.[5]

Gedenktafel in Berlin-Mitte (Parochialstr. 1–3)

1923 gründete er das Anti-Kriegs-Museum in Berlin. Eines seiner wichtigsten Motive für die Errichtung des Museums war, einen Ort der Friedenspädagogik zu erschaffen. Sein bekanntestes Buch Krieg dem Kriege aus dem Jahr 1924 entstand durch seine Recherchen für das Anti-Kriegs-Museum; es zeigt eine Bilderdokumentation der Schrecken des Krieges.[5]

Später gab er unter anderem die Wochenzeitung „Die schwarze Fahne“ heraus, die zeitweilig eine Auflage von 40.000 Exemplaren erreichte.

Friedrich war eng mit Henry Jacoby und Erich Mühsam befreundet. Jacoby nennt ihn rückblickend „Apostel einer radikalen Jugendbewegung, Verkünder eines herrschaftslosen Sozialismus [und] aggressive[r] Antimilitarist“. Den politischen Gefangenen in der Weimarer Republik, darunter Erich Mühsam, widmete Ernst Friedrich als Herausgeber der Zeitschrift „Freie Jugend“ 1924 (Nr. 7) ein Sonderheft.

Häufig wurden seine Publikationen verboten oder beschlagnahmt und Friedrich stand immer wieder vor Gericht. Der Anwalt Hans Litten verteidigte ihn bei zahlreichen Prozessen. Nach mehreren Vorstrafen wurde er am 14. November 1930 wegen seiner politischen Aktivitäten, „Vorbereitung zum Hochverrat“, erneut zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Er soll beteiligt gewesen sein, antimilitaristische Texte unter der Polizei und der Reichswehr zu verteilen.[5]

Drittes Reich, Zweiter Weltkrieg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schon vor der Machtübernahme 1933 terrorisierten ihn die Nazis. Die Schaufenster des Anti-Kriegs-Museums wurden ständig zerstört und Friedrich war regelmäßig gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt.[5] Nach dem Reichstagsbrand wurde er am 28. Februar 1933 verhaftet. Das Museum wurde von den Nazis zerstört und zu einem SA-„Sturmlokal“ gemacht. Nach seiner Freilassung floh er im Dezember 1933 durch Europa. Einige Zeit fand er im Rest-Home-Projekt Unterschlupf, das von Quäkern betrieben wurde.[6]

1936 eröffnete er in Brüssel ein neues Museum, das allerdings die deutschen Truppen nach ihrem Einmarsch 1940 erneut zerstörten. Ernst Friedrich floh mit seinem Sohn Ernst nach Frankreich. Dort wurden die beiden vom Vichy-Regime im Lager St. Cyprien interniert, später im Lager von Gurs.[7] Nach 18 Monaten konnte er fliehen. 1943 wurde er von der Gestapo aufgespürt. Nach seiner erneuten Flucht schloss er sich der Résistance an. Nahe dem Dorf Barre-des-Cévennes im Département Lozère bewirtschaftete Ernst Friedrich mit seiner zweiten Frau Marthe Saint-Pierre den Bauernhof „La Castelle“.[7] Friedrich, der Pazifist, kämpfte bei der Befreiung von Nîmes und Alès. Er wurde zweimal verwundet. Er rettete etwa siebzig Kinder eines jüdischen Kinderheims vor der Deportation.[8]

Nach dem Zweiten Weltkrieg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Krieg wurde Friedrich Mitglied der Sozialistischen Partei Frankreichs. Seit 1947 warb er in Paris für den Wiederaufbau eines neuen Anti-Kriegsmuseums.

Von einem internationalen Fonds erhielt er 1.000 Dollar. Davon kaufte er einen Schleppkahn, den er zum Friedensschiff Arche de Noé umbaute. Es lag an einer Seine-Insel bei Villeneuve-la-Garenne. Er gab drei Nummern der Zeitschrift Bordbrief heraus (1950–1953).

1954 erhielt er für den Verlust seines Besitzes und erlittene körperliche Schäden im „Dritten Reich“ eine Entschädigung. Er kaufte daraufhin etwa 3.000 Quadratmeter Wald auf einer Marne-Insel (Île du Moulin) nahe Le Perreux-sur-Marne. Dort errichtete er 1954 ein internationales Jugendzentrum. Ab 1961 war es eine internationale Begegnungsstätte der arbeitenden Jugend.

Ernst Friedrich, der in seinen letzten Lebensjahren von schweren Depressionen gepeinigt wurde, starb „wie er stets gelebt hatte: arm an Besitz, aber überreich an Visionen“.[9] Sein Grab befindet sich in der 5. Division auf dem Friedhof von Le Perreux-sur-Marne, Département Val-de-Marne.[10]

Nachleben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Friedensinsel wurde nach dem Tod Friedrichs verkauft. Der schriftliche Nachlass wurde vernichtet.[9]

In Berlin wurde das Anti-Kriegs-Museum 1982 wiedergegründet.

Schriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Proletarischer Kindergarten. Ein Märchen- und Lesebuch für Kinder. Illustrationen von Käthe Kollwitz, Karl Holtz, Otto Nagel u. a. Buchverlag der Arbeiter-Kunst-Ausstellung, Berlin 1921.
  • Krieg dem Kriege! Guerre à la guerre. War against War. 2 Bände. Verlag Freie Jugend, Berlin 1924 und 1926.
  • Festung Gollnow (Reihe Menschen im Käfig). Mit Fotos von Svend Nielsen. Kulturverlag, Berlin 1932.
  • Das Anti-Kriegsmuseum. Berlin 1926.
  • Vom Friedensmuseum zur Hitlerkaserne. Ein Tatsachenbericht über das Wirken von Ernst Friedrich und Adolf Hitler (Autobiographie), Schwarz, St. Gallen / Genossenschafts-Buchhandlung, Zürich 1935.
  • Krieg dem Kriege, Ernst Friedrich, neu herausgegeben vom Anti-Kriegs-Museum Berlin, mit einer Einführung von Gerd Krumeich und mit einem Lebensbild Ernst Friedrichs von Tommy Spree und Patrick Oelze, Lizenzausgabe, Verlag Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2015, ISBN 978-3-8389-0582-2.

Herausgeber der Zeitschriften:

  • Freie Jugend (1919–1926) (Auflage bis zu 40.000 Stück).
  • Die Waffen nieder! (1921)
  • Der freie Mensch (1924)
  • Schwarze Fahne (1925–1929), ZDB-ID 85630-7.
  • Bordbrief. Schiffsdruckerei der „Arche de Noé“, Paris (1950–1953), ZDB-ID 26737814.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Christian Bartolf, Dominique Miething: Ernst Friedrich (1894–1967). In: Thomas Friedrich (Hrsg.): Handbuch Anarchismus. Springer VS, Wiesbaden 2023.
  • Thomas Kegel: „Krieg dem Krieg!“ Ernst Friedrich – Anarchist und revolutionärer Antimilitarist. In: Graswurzelrevolution, Heft 115, Juni 1986.
  • Thomas Kegel: Ernst Friedrich. Anarchistische Pädagogik in Aktion. In: Ulrich Klemm (Hg.): Anarchismus und Pädagogik. Studien zur Rekonstruktion einer vergessenen Tradition. S. 126–137. Dipa Verlag, Frankfurt am Main 1991.
  • Ulrich Klemm: Ernst Friedrich. In: Hans Jürgen Degen (Hg.): Lexikon der Anarchie. Verlag Schwarzer Nachtschatten, Bösdorf/Plön 1993, ISBN 3-89041-008-1.
  • Ulrich Linse: Die anarchistische und anarcho-syndikalistische Jugendbewegung, 1918–1933. Dipa Verlag, Frankfurt am Main 1976.
  • Ulrich Linse: Ernst Friedrich zum 10. Todestag (= Europäische Ideen, Heft 29). Verlag Europäische Ideen, Berlin 1977.
  • Nicolas Offenstadt: L’image contre la guerre. Autour d’Ernst Friedrich. In: Thérèse Blondet-Bisch, Robert Frank, Claire Lebeau (Hg.): Voir. Ne pas voir la guerre. Histoire des représentations photographiques de la guerre. Somogy, éditions d’Art/BDIC, Paris 2001, ISBN 2-7028-4562-2, S. 270–275.
  • Tommy Spree: Ich kenne keine „Feinde“. Der Pazifist Ernst Friedrich. Ein Lebensbild. Anti-Kriegs-Museum, Selbstverlag, Berlin 2000.
  • Bérénice Zunino: Pacifisme et violence. Femmes et enfants dans la pédagogie de la paix d’Ernst Friedrich. In: Les cahiers Irice, ISSN 1967-2713, Jg. 4 (2011), Heft 2, S. 111–136.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Ernst Friedrich – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Richard Müller-Schmitt: Ernst Friedrich und das Berliner Antikrieqsmuseum. In: Christiane Rajewsky (Hg.): Rüstung und Krieg. Zur Vermittlung von Friedensforschung (= Jahrbuch für Friedens- und Konfliktforschung, Bd. 8). Haag + Herchen, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-88129-652-2, S. 72–77, hier S. 73.
  2. Ulrich Klemm: Ernst Friedrich. In: Hans Jürgen Degen (Hg.): Lexikon der Anarchie. Verlag Schwarzer Nachtschatten, Bösdorf/Plön 1993.
  3. Bérénice Zunino: Pacifisme et violence. Femmes et enfants dans la pédagogie de la paix d’Ernst Friedrich. In: Les cahiers Irice, Jg. 4 (2011), Heft 2, S. 111–136, hier S. 111.
  4. Michael Bienert, Elke Linda Buchholz: Die Zwanziger Jahre in Berlin. Ein Wegweiser durch die Stadt. Berlin-Story-Verlag, Berlin, überarbeitete und aktualisierte Neuauflage 2015, ISBN 978-3-95723-065-2, Kapitel „Krieg dem Kriege!“ – Geschichte im Museum, S. 34.
  5. a b c d e f Gerd Krumeich: Einführung. In: Anti-Kriegs-Museum Berlin (Hrsg.): Krieg dem Kriege: Neu herausgegeben. 2017, S. XLIII-XLIX.
  6. Claus Bernet: Neues zum „Rest-Home“: Hilfe für Opfer der NS-Diktatur 1933–1939 in Deutschland, abgerufen am 17. Dezember 2016.
  7. a b Julian Nordhues: Der Anarchist und Antimilitarist Ernst Friedrich, abgerufen am 17. Dezember 2016.
  8. L’île de la paix d’Ernst Friedrich, 7. Mai 2009, abgerufen am 17. Dezember 2016.
  9. a b Reinhard Müller: Ein Portrait des Anarchisten und Widerstandskämpfers Ernst Friedrich. In: Friedolins Befreiung. Zeitschrift für Antimilitarismus und Gewaltfreiheit für freie Menschen und solche, die es werden wollen, ZDB-ID 2239876-4, Jg. 1999, Nr. 4.
  10. knerger.de: Das Grab von Ernst Friedrich