Bartter-Syndrom

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Klassifikation nach ICD-10
E26.8 Sonstiger Hyperaldosteronismus
- Bartter-Syndrom
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Das Bartter-Syndrom ist eine äußerst seltene vererbte Krankheit der Niere. Befallen sind dabei die aufsteigenden Äste der Henle-Schleifen in den Nieren. Es kommt zum Salzverlust-Syndrom, zu einer hypokaliämischen metabolischen Alkalose und zum sekundären Hyperaldosteronismus bei normalem oder niedrigem Blutdruck. Neben der klassischen Form gibt es eine antenatale Form des ungeborenen Fötus mit Polyhydramnion. Es handelt sich um eine Tubulopathie, bei der es nicht zur Niereninsuffizienz kommt.

Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es besteht ein Defekt des Furosemid-sensitiven Na+/K+/2Cl-Kotransporters (NKCC2, Typ  I; auch BSC1 genannt) [oder des apikalen K+-Kanals (ROMK; Typ  II) oder des basolateralen Cl-Kanals (CLCKB, Typ III), die mit dem Na+/K+/2Cl-Kotransport bei der Resorption von NaCl im Verdünnungssegment kooperieren] im aufsteigenden Ast der Henle-Schleife der Niere. Dadurch können Natrium-Ionen nicht genügend rückresorbiert werden, wodurch der Blutdruck abfällt. Dies führt einerseits via Pressorezeptoren der Aorta zur Katecholaminausschüttung und andererseits wegen geringerer Durchblutung der Vasa afferentia zu einer Ausschüttung von Renin und es entsteht ein hyperreninämischer Hyperaldosteronismus.

Typ IV ist durch einen Defekt in Barttin, der essentiellen β-Untereinheit des ClC-K-Kanals, gekennzeichnet, der außer in der basolateralen Membran der Henle-Schleife auch in der basolateralen Membran der Stria vascularis im Innenohr exprimiert wird. Dieser Phänotyp zeigt eine zusätzliche Taubheit, da die Produktion der K+-reichen Endolyphe gehemmt ist.

Bei Typ V liegt eine Mutation im CaSR (extrazellulärer Calcium-Ion-Sensing-Rezeptor) vor, der die NKCC2 und den ROMK inhibiert.

Das Hyperprostaglandin-E-Syndrom ist eine Kombination aus den Typen I, II und III.

Häufigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Krankheit ist mit einer Auftrittswahrscheinlichkeit (Prävalenz) von 1 bis 9 : 1.000.000 sehr selten.[1]

Genetik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Erbgang der Typen I bis IV ist autosomal-rezessiv. Typ V wird dagegen autosomal-dominant vererbt.[2]

Bisher wurden fünf verschiedene Gene gefunden, die bei der Entstehung des Bartter-Syndrom involviert sind:[2]

Bartter-Syndrom Chromosom Genlocus Gen kodiertes Protein
Typ I Chromosom 15q15-q21.1 SLC12A1[3] NKCC2
Typ II Chromosom 11q21-25 KCNJ1 ROMK
Typ III Chromosom 1p36 ClCNKb ClCN-Kb
Typ IV Chromosom 1p31 BSND Barttin
Typ V Chromosom 3q13.3-q21 CASR CaR

Symptome[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Blutdruck ist typischerweise trotz erhöhtem Renin und Aldosteron erniedrigt. Bei erniedrigten Kaliumwerten kommt es zur metabolischen Alkalose und zum Salzverlust. Dehydratation, Erbrechen und Polyurie sind möglich. Als Folge des Hyperaldosteronismus entstehen eine Hypokaliämie sowie eine metabolische Alkalose.

Weitere Symptome sind:

Differentialdiagnose der Harnkonzentrierungsstörungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bartter-Syndrom Schwartz-Bartter-Syndrom Diabetes insipidus centralis Diabetes insipidus renalis
Pathophysiologie Kanaldefekt in der Niere
(Na+/K+/2Cl-Symporter, ROMK oder CLCKB)
unangemessen hohe ADH-Sekretion
Aquaporineinbau
unzureichende ADH-Sekretion
Aquaporineinbau
ADH-Typ 2-Rezeptordefekt
Aquaporineinbau ↓ oder Aquaporindefekt
Ätiologie erblich (autosomal-rezessiv)
  1. paraneoplastisch (kleinzelliges Bronchialkarzinom)
  2. sekundär bei Infektionen oder ZNS-Störungen
  1. idiopathisch (ca. 1/3 der Fälle)
  2. sekundär bei Tumoren, nach Trauma, bei Infektionen
  1. erblich (X-chromosomal- oder autosomal-rezessiv)
  2. erworben bei Nierenerkrankung
Klinik Salzappetit, Muskelschwäche und Muskelschmerzen, Krämpfe ZNS-Symptomatik, Muskelschwäche und Muskelschmerzen, Krämpfe erhöhte Urinmenge, erhöhte Trinkmenge erhöhte Urinmenge, erhöhte Trinkmenge
Labor Serum: Na+ ↓, K+ ↓, Osmolalität ↓, pH-Wert Serum: ADH ↑, Na+ ↓, K+ ↓, Osmolalität ↓, pH-Wert Serum: ADH ↓, Na+ ↑, Osmolalität Serum: ADH ↔, Na+ ↑, Osmolalität
Urin: Na+ ↑, K+ ↑, Osmolalität Urin: Na+ ↑, Osmolalität Urin: Na+ ↓, Osmolalität Urin: Na+ ↓, Osmolalität
Weitere Diagnostik Nachweis eines sekundären Hyperaldosteronismus
  1. Durstversuch: ADH
  2. Desmopressin-Test: Urin-Osmolalität
  1. Durstversuch: ADH
  2. Desmopressin-Test: Urin-Osmolalität

[4]

Therapie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es wird versucht, durch Infusionen den Kaliumspiegel und den Natriumspiegel zu heben. Außerdem können Aldosteronantagonisten sowie Prostaglandinsynthesehemmer (z. B. Indometacin) eingesetzt werden.

Antenatales Bartter-Syndrom[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auch das antenatale Bartter-Syndrom wird meist autosomal-rezessiv vererbt. Es wurden dieselben Loss-of-Function-Mutationen wie bei der klassischen Form beschrieben. Durch den Salzverlust im dicken aufsteigenden Ast der Henle-Schleife kommt es in utero zu einer massiven Polyurie und einem schweren Polyhydramnion, welches in der Regel zu einer Frühgeburt führt. Die Behandlung umfasst vor allem einen Flüssigkeits-Ausgleich und eine Salzsupplementierung jeweils antepartal bei der Schwangeren. Nichtsteroidale Entzündungshemmer werden beim Neugeborenen aufgrund der möglichen schweren unerwünschten Nebenwirkungen in der Nachgeburtsphase (postnatal) nur vorsichtig eingesetzt. Eine postpartale Therapie der Mutter ist nicht erforderlich.

Daneben beschrieb eine Marburger Arbeitsgruppe 2016 eine transiente Form des antenatalen Bartter-Syndroms mit einem X-chromosomalen Erbgang, ausgelöst durch eine Mutation des Gens für das "Melanoma-assoziierte Antigen D2" (MAGE-D2) im Bereich Xp11.2.[5] Die genaue molekulare Funktion dieses Proteins ist nicht bekannt. Es bindet an Chaperon Hsp-40 und an zytoplasmisches Gs-alpha-Protein und ist an der Zellzyklus-Regulation, an der Apoptose und an der Neurogenese beteiligt. Außerdem ist es mit einigen Karzinomen assoziiert. Die klinische Implikation ist vor allem, dass die risikoreiche postnatale Therapie des Bartter-Syndroms nicht notwendig ist.[6]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Bartter-Syndrom wurde erstmals 1962 von dem US-amerikanischen Endokrinologen Frederic Bartter (1914–1983) beschrieben.[7]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise und Fußnoten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. orpha.net: Bartter-Syndrom
  2. a b G. Colussi: Bartter syndrome. (PDF; 172 kB) In: Orphanet encyclopedia. März 2005.
  3. SLC12A1= Solute carrier family 12 sodium/potassium/chloride transporters, member 1
  4. Gerd Herold: Innere Medizin. Köln 2007, S. 564–565, 712–713.
  5. Kamel Laghmani, Bodo B. Beck, Sung-Sen Yang, Elie Seaayfan, Andrea Wenzel, Björn Reusch, Helga Vitzthum, Dario Priem, Sylvie Demaretz, Klasien Bergmann, Leonie K. Duin, Heike Göbel, Christoph Mache, Holger Thiele, Malte P. Bartram, Carlos Dombret, Janine Altmüller, Peter Nürnberg, Thomas Benzing, Elena Levtchenko, Hannsjörg W. Seyberth, Günter Klaus, Gökhan Yigit, Shih-Hua Lin, Albert Timmer, Tom J. de Koning, Sicco A. Scherjon, Karl P. Schlingmann, Mathieu J. M. Bertrand, Markus M. Rinschen, Olivier de Backer, Martin Konrad, Martin Kömhoff: Polyhydramnios, Transient Antenatal Bartter’s Syndrome, and MAGED2 Mutations. In: The New England Journal of Medicine, 2016, Band 374, Ausgabe 19 vom 12. Mai 2016, S. 1853–1863, doi:10.1056/NEJMoa1507629
  6. Nine V.A.M. Knoers, René J. Bindels: MAGE-D2 and the Regulation of Renal Salt Transporters. In: The New England Journal of Medicine, 2016, Band 374, Ausgabe 19 vom 12. Mai 2016, S. 1888–1890, doi:10.1056/NEJMe1603856
  7. Frederic C. Bartter u. a.: Hyperplasia of the juxtaglomerular complex with hyperaldosteronism and hypokalemic alkalosis: a new syndrome. In: Am. J. Med., 33/1962, S. 811–828. PMID 13969763